Ding meines Lebens

Diesmal weiß ich genau, wo dieses Ding meines Lebens herkommt: Ich habe den Stein in unserem Garten selbst ausgegraben, schüttelte die Erde ab, nahm ihn in meine Hand und betrachtete seine feinen blutroten Adern. Sie ziehen sich um den ganzen Körper und wirken so, als ob der Stein leben würde…

Früher betrachtete ich Steine als blutleere und seelenlose Gestalten im großen Naturschauspiel, die sich weder bewegen noch irgendwie sonst bemerkbar machen können. Stattdessen warten sie unter der Erde, bis sie entdeckt werden. Und das kann dauern. Eine Million Jahre Wartezeit sind für einen Stein gar nichts.

Dann schrieb ich meine Handwerksbücher und erfuhr von den Steinmetzen, dass es ganz anders ist: Steine können sogar sprechen und verraten über ihren Klang viel über ihr Innenleben. Mit der Zeit begann ich die Welt mit den Augen der Steinmetze zu betrachten. Wenn ich durch Graz ging, sah ich überall Stein: die glatten Flusskiesel als Pflasterung in der Raubergasse, die vielen Steinportale in der Innenstadt oder die Steinbrocken in der Stützmauer der Leechkirche. Auch wenn es pathetisch klingt: Dabei erkannte ich, dass Steine vermitteln können, was Ewigkeit ist.

Den Stein, der nun ein Ding meines Lebens ist, holte ich beim Umgraben eines Beetes aus der Erde. Ich schüttelte sie ab und betrachtete seine feinen Adern, die sich um den ganzen Körper ziehen. Weil der Stein klein ist und gerade mal in meine geschlossene Faust passt, platzierte ich ihn am Rande des Beetes in der Mulde eines anderen Steins. Wenn ich mit dem Rasenmäher vorbeikam, lugte ich nach ihm. Beim Unkrautjäten freute ich mich auf die Stelle, wo er lag. Einmal verlor ich ihn aus den Augen und fand ihn erst Tage später, nur ein paar Meter weiter. Danach holte ich den Stein ins Haus.

Übrigens: Das Ding meines Lebens ist ein Derbquarz mit Einschlüssen von Hämatit, der als Blutstein bekannt ist. Und wie Blut sehen die feinen Adern des Steins auch aus.