An einem Sommertag liefert ein Vater seine Tochter bei entfernten Verwandten ab. Seine Frau ist wieder schwanger und das Geld wird für die immer größer werdende Familie mit vielen Kindern knapp. So findet sich das Mädchen bei einem kinderlosen Ehepaar wieder – an einem behaglichen Ort mit liebevoller Zuwendung. Doch auch mit einem Geheimnis, das einen Schatten in die Leichtigkeit dieser Sommertage wirft.
Wir sind in Irland: Ein Vater fährt seine kleine Tochter zu entfernten Verwandten an die Küste. Während die sommerliche Landschaft vorbeizieht, überlegt das Mädchen, wie viele Kinder die andere Familie wohl hat, in welchem Raum es schlafen muss und ob es fließendes Wasser gibt oder nur ein Toilettenhäuschen im Freien wie bei ihnen zu Hause. Da sieht sie am Ende einer Auffahrt ein weißes Haus mit hohen Fenstern und großen Bäumen davor. Die Räder des Autos rattern über einen Weiderost, dann sind sie da. Ihr Dad steigt aus und geht auf einen Mann zu, der freundlich lächelnd im Hof steht. Dahinter kommt eine Frau aus dem Haus zum Auto, hebt das Mädchen heraus und holt es ins Haus – in eine ruhige Küche mit Blick in den Garten und auf die Weiden. Das Mädchen ist von diesem behaglichen Ort überrascht und staunt darüber, dass es hier keine anderen Kinder gibt – dafür aber fließendes Wasser und einen gedeckten Tisch mit einem Rhabarberkuchen.
Ich denke an meinen Sommer und an jetzt,
vor allem an jetzt.
Was es an diesem Ort für das Mädchen auch noch gibt, ist Zuwendung im Überfluss. Den ganzen Tag ist sie mit der Frau zusammen. Sie kochen Stachelbeeren ein, arbeiten im Garten und holen zu zweit an der Quelle einen Eimer Wasser – das Mädchen nimmt die Hand der Frau, es fühlt sich geborgen. Der Mann arbeitet den ganzen Tag auf den Feldern, doch abends ist auch er für das Mädchen da. Sie wandern in der Dämmerung die Küste entlang und schauen auf die Lichter am Meer. Sieh mal, sagt der Mann, wo vorne nur zwei Lichter waren, sind jetzt drei. Dann trägt er das Mädchen – das dritte Licht in der Familie – auf den Schultern nach Hause. Das Mädchen erlebt in diesem Sommerwochen eine für sie bislang unbekannte Leichtigkeit. Gleichzeitig spürt es, dass an diesem Ort ein Geheimnis gibt, das einen Schatten in ihre lichten Tage wirft.
Ich liebe die meisterhaft komponierten und sprachlich präzisen Romane von Claire Keegan – wie ein Gedicht sind sie, jedes Wort sitzt, keines ist zu viel, keines zu wenig und hinter jedem Wort versteckt sich eine Verheißung. Auch ihre Geschichten sind wunderschön: herzzerreißend, zärtlich, versöhnlich und wie immer beim Steidl Verlag mit einem Leineneinband hochwertig aufgemacht.
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